Virtuell abgetaucht im Museum für Antike Schifffahrt

04. June 2019

Mit dem Mixed Reality Open Lab beschreitet das Museum für Antike Schifffahrt in Mainz neue Wege. Barbara Weber-Dellacroce über die digitale Vermittlung des römischen Schiffsbaus.

mainz schiff

Das Museum für antike Schifffahrt in Mainz, einer der Standorte des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM), ist ein besonderes Museum. Eine lichtdurchflutete Halle ist nicht nur Heimstatt der spektakulären Mainzer Römerschiffe, sondern auch Präsentationsfläche für die in den eigenen Werkstätten angefertigten Rekonstruktionen, zum Teil auch im Maßstab 1:1. Die Kunstfertigkeit römischer Schiffsbauer ist hier hautnah und eindrucksvoll erlebbar.

Seit einigen Monaten wird dieses Erlebnis nun um die Möglichkeiten digitaler Technologien spannend und vielversprechend erweitert. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, das sogenannten „Mixed Reality Open Lab“ testen zu können. Ziel dieses Versuchsbereiches ist es, mit Hilfe von unterschiedlichen digitalen und analogen Vermittlungsmedien den BesucherInnen einen vielschichtigen Zugang zum Verständnis des Schiffswracks von La Madrague de Giens, das vor der französischen Mittelmeerküste gefunden wurde, zu ermöglichen und, ganz wichtig, die Nutzung und den Erkenntnisgewinn zu evaluieren.

Das Setting

Das Mixed Reality Open Lab gruppiert sich um das Modell des Schiffs von La Madrague, eine hölzerne Rekonstruktion im Maßstab 1:10. Das Modell bildet das Zentrum des Settings.

Gewählt wurden folgende Vermittlungsmethoden:

  1. Eine VR-Station vermittelt einen Eindruck vom Befund unter Wasser.
  2. Eine MR-Station am Schiffsmodell erzählt mittels AR-Elementen vom Lebenszyklus des Schiffes von der Investitionsentscheidung des Reeders bis hin zum Untergang vor der Küste und dem Versuch einer antiken Bergung.
  3. Analoge Stationen vermitteln durch Texttafeln, taktile Reliefs und Hands-On-Stationen vertiefende Inhalte.
  4. Ein NFC-basiertes Multimediaguide-System bietet weitere Informationen und Bildmaterial.
  5. Ein taktiles Bodenleitsystem vom Eingangsbereich durch das Open Lab, ein tastbarer Plan des Open Labs, Tastreliefs an den Stationen, Texte in Braille-Schrift sowie Audiodeskriptionen im NFC-Mediaguide ermöglichen auch Sehbehinderten und Blinden den Zugang.

Das Bodenleitsystem und der Raumplan dienen auch den sehenden BesucherInnen als Orientierungsvorschlag und werden von diesen wohl auch gut angenommen.

VR-Station

Die VR-Station wird gekennzeichnet durch einen Bodenbelag, der im Foto die Befundsituation im Mittelmeer wiedergibt. Die NutzerInnen erhalten eine VR-Brille (die man sehr gut über einer normalen Brille tragen kann!) und zwei Controller. Nach einer kurzen Einweisung ist die Station leicht zu bedienen. Man kann sich frei bewegen; läuft man Gefahr, den VR-Bereich zu verlassen, leuchtet ein rotes Gitternetz auf. Über die Knöpfe des Controllers kann man dann in den nächsten Bereich springen.

Ich war ja skeptisch, was diese VR-Anwendung bringen wird. Aber hier geht das Konzept auf. Ziel ist es, den BesucherInnen zu zeigen, wie das Schiffswrack unter Wasser aufgefunden wurde mitsamt seiner Ladung. Die BesucherInnen bewegen sich durch das Wrack, im Hintergrund hört man Wasserrauschen, Fische schwimmen vorbei. Es ist fast wie Tauchen! Mit den Controllern kann man manche Objekte, z.B. Amphoren hochheben, an besonders interessanten Punkten sind Feldbücher abgelegt, die Skizzen und ganz knappe Informationen zeigen. An einigen Stellen löst das Hochheben eines Feldbuches eine Gitternetzartige Rekonstruktion z.B. der Decksaufbauten oder der Lenzpumpe im Schiffsrumpf aus.

Über einen großen Bildschirm können übrigens andere BesucherInnen sehen, was gerade „unter Wasser“ entdeckt wird. Das verkürzt die Wartezeit, vor allem bei Gruppen, die das Open Lab besuchen.

Die NutzerInnen erhalten also Informationen zur Situation unter Wasser und Informationen, die direkt mit dem Wrack verknüpft sind. Und einen immersiven Eindruck davon, welches Bild sich UnterwasserarchäologInnen bietet.

Die VR-Station vermittelt die Fundsituation so gut, wie es kein Bild oder Film vermag.

Natürlich wäre der Erkenntnisgewinn nur aus einer solchen eher atmosphärischen VR-Station aber allein recht gering. Daher gibt es zusätzlich einen Tisch, an dem man nach der VR-Experience mit dem NFC-Guide auf Entdeckungstour gehen kann. Visuell sind diese beiden Stationen so eng verknüpft, dass man sich sehr leicht zurechtfindet. Der Tisch ist mit einem Foto des Wracks bedruckt, die NFC-Punkte, natürlich taktil, sind zusätzlich mit den Skizzen gekennzeichnet, die auf den Feldbüchern in der VR-Anwendung bereits gesehen wurden.

Analoge, barrierefreie Stationen

Zusätzlich zu dem Holzmodell im Maßstab 1:10 wurden 8 Infostationen eingerichtet, an denen man Stationstexte lesen, ertasten oder anhören kann.

Tastreliefs bieten nicht nur Sehbehinderten und Blinden Zugang, sondern erleichtern allen das Verständnis, wenn es z.B. um Konstruktionsdetails oder spezielle Schiffsknoten geht. Die Tastreliefs sind wunderschön und funktionieren perfekt, wie immer, wenn Tactile Studio mit an Bord ist. Diese Stationen sind inklusiv im besten Sinne, denn es sind Stationen für alle, jeder findet dort das passende Angebot, vor allem in Kombination mit dem NFC-Mediaguide, den tuomi zu diesem Projekt beisteuern konnte.

Die MR-Station am Schiffsmodell konnte ich leider Mitte Mai noch nicht testen, da sie sich noch in der Umsetzungsphase befand. Aber all das, was man mir dort schon vorab zeigen konnte, ist sehr vielversprechend. Eine kurzweilige Story wird den BesucherInnen in Zukunft den Lebenszyklus des Schiffes vorstellen.

Fazit

Das explizit als Testaufbau installierte Mixed Reality Open Lab zeigt, wie mit einem gut durchdachten Konzept VR und MR eher klassische Vermittlungstools, zu denen man auch Mediaguides zählen kann, wirklich sinnvoll ergänzen können. So wird ein vielschichtiges Bild erschaffen und die BesucherInnen können ein immersives Erlebnis im Museum haben und gleichzeitig spielerisch lernen.

Nicht verschwiegen darf natürlich der hohe personelle Betreuungsaufwand des Open Labs werden. Die BesucherInnen werden immer begleitet und angeleitet, um die User Experience so positiv wie möglich zu gestalten, um Unfallrisiko zu vermeiden und die BesucherInnen zu unterstützen, auch wenn jemand z.B. mit dem VR-Erlebnis körperlich oder psychisch nicht zurechtkommt.

Wir sind sehr gespannt auf die Auswertung der Nutzerdaten und der Nutzerbefragung und zu welchem Ergebnis das Museum kommen wird: Schafft der Einsatz von VR und MR einen solchen Mehrwert, dass dieser die hohen Kosten in Entwicklung, Aktualisierung, Unterhalt und Betreuung rechtfertigt? Man wird sehen. Der Besuch sei auf jeden Fall empfohlen, es macht Spaß und ist lehrreich.

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